Lebendiges Kulturerbe
Im Gespräch mit der Architekturwissenschaftlerin und -kritikerin Prof. Dr. Luise Rellensmann
Welche Ziele definiert die Denkmalpflege für den Erhalt?
Der Kerngedanke der Denkmalpflege ist: so viel wie möglich zu bewahren, so wenig wie nötig zu verändern.
Es gibt die offiziellen Denkmalschutzgesetze, in dem der Begriff des Denkmals definiert wird. Die Denkmalgesetzgebung basiert auf der Charta von Venedig von 1964, der zentralen internationalen Richtlinie für die Denkmalpflege, die vor allem auf den Substanzschutz zielt. Das ist eine Denkmalpflege, die als kunstwissenschaftlichen Disziplin gewachsen ist und die sich entsprechend auf die künstlerischen-ästhetischen Werte konzentriert.
In der Praxis birgt der Denkmalschutz immer Konflikte. Denn je nach Perspektive ändert sich auch der Blick auf das Denkmal. Architektinnen und Architekten sehen andere Aspekte als Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, als Handwerkerinnen und Handwerker und so weiter.
In welchem Verhältnis steht diese konventionelle Denkmalpflege zur Erinnerungskultur. Welche Rolle spielen zum Beispiel Archive, Kultur- und Geisteswissenschaften für die Denkmalpflege?
Zwischen dem amtlichen Denkmalschutz und der Denkmalpflege als geisteswissenschaftliche und akademische Disziplin muss grundsätzlich differenziert werden. Seit der Charta von Venedig ist in der Wissenschaft viel passiert. Es gibt viele neue internationale Richtlinien des ICOMOS (Internationaler Rat für Denkmalpflege) oder des Europarats, die viel partizipatorischer gedacht sind. Bei den neueren Entwicklungen geht es mehr um die Menschen und ihre Wahrnehmung. Die kulturelle Bedeutung und die lebendige Erinnerungskultur werden hier viel stärker als ein Teil der Denkmalpflege mitgedacht. Der kritische Kulturerbediskurs, wie er sich unter anderem in der Faro Convention festgeschrieben hat, steht für eine diversere Geschichtsschreibung und für die Schwerpunktverlagerung vom reinen Objekt zum Menschen: Was müssen wir erhalten, für wen und warum?
Denn ein Denkmal konstituiert sich nicht nur aus der objekthaften Substanz und seiner künstlerischen Bedeutung, sondern auch über Erinnerungen und Assoziationen, die wir mit Objekten verbinden und dadurch, wie Orte in der Gegenwart bewertet werden.
Wie können die amtliche und die wissenschaftliche Disziplin besser zusammenfinden?
Das Bewusstsein für beide Seiten ist vorhanden. Zum Teil findet der Austausch in unterschiedlichen Arbeitsgruppen wie zum Beispiel dem Arbeitskreis der Theorie und Lehre der Denkmalpfleger e.V. statt. Das gegenseitige Interesse ist vorhanden. Die Differenzen zwischen den beiden Lagern bleiben aber spürbar.
Was die amtliche Denkmalpflege macht, ist im Grunde gut und hat auch seine Berechtigung. Es wäre wünschenswert, kulturelles Erbe weiterzudenken, sodass sich eine Praxis an dem konservativen Denkmalschutz vorbei entwickeln kann. Ich spreche von einer Kultur, die ich einmal „Denkmalpflege ohne Denkmalpfleger*innen“ genannt habe. Ein lebendiges Kulturerbe, an dem verstärkt andere Disziplinen beteiligt sind, die nicht zwingenderweise im Sinne des amtlichen Denkmalschutzes bewahren, weil das Partizipatorische per se damit schwer vereinbar ist; in der das Erbe vielleicht mehr als etwas gedacht und anerkannt wird, dass sich ständig weiterentwickelt. Dass jeder Mensch seine eigene Perspektive hat und auch über den Wert mitbestimmen kann, ist wichtiger, als einen „originalen“ Zustand zu wahren, was mit der Zeit auch sehr komplex wird und die Entstehung von Neuem und die Weiterentwicklung von Kultur einschränkt.
Die DDR-Garagen beispielsweise würden viele aus architektonischer-ästhetischer Sicht nicht als denkmalwürdig erachten. Es sind jedoch Orte, an denen sich DDR-Geschichte verdichtet. Sie stehen für einen regen Austausch und für eine dynamische Kultur, sodass der Konservierungsgedanke nach dem Denkmalschutz hier per se nicht reinpasst.
Wie könnte sich so eine „Denkmalpflege ohne Denkmalpflegerinnen und -pfleger“ in der Gesellschaft entwickeln?
Schlösser und Gärten zu erhalten ist schön, aber es gibt mehr. Auf den Denkmallisten stehen an erster Stelle immer die Kirchen und Rathäuser als Repräsentanten einer hegemonialen und patriarchalen Geschichtsschreibung. Auch das Welterbe ist vor allem eurozentristisch und christlich geprägt, – allein 18 gotische Kathedralen stehen auf der Welterbeliste der UNESCO – dabei hegt das Programm aber den Anspruch, das Erbe der Menschheit zu repräsentieren.
In meinen Kursen an der Hochschule in München versuche ich, ein Verständnis von Denkmalpflege anhand von Alltagsobjekten und weniger bekannter Architektur wie zum Beispiel an Häusern der eigenen Großmütter zu vermitteln. Dabei verbindet sich das Objekthafte mit den immateriellen Qualitäten. Die Betrachtung der Topografie, städtebaulichen Einbettung, Konstruktionsweisen, Produktionsbedingungen, Gestaltung und der Dokumente usw. wird im Kontext der persönlichen Erinnerungsgeschichte nahbar und erhält eine eigene Bedeutung.
Sie haben vorhin von den jüngeren internationalen Richtlinien gesprochen, die kulturelles Erbe mehr am Menschen und diverseren Gesellschaften definieren. Können Sie ein positives Beispiel nennen?
Wir sind selbst Teil der Produktion von kulturellem Erbe, im Grunde ist jede und jeder gefragt, sich aktiv im Diskurs über Denkmale mit einzubringen.
Ich beobachte, dass sich außerhalb des amtlichen Denkmalschutzes andere Disziplinen in ihren Praxen mit dem Umgang und der Interpretation von Erbe befassen, und dabei einem anderen Spektrum an Orten und Geschichten kulturelle Bedeutung zuweisen, seien es etwa postkoloniale Initiativen, die für die Umbenennung von Straßennamen kämpfen, Stadtsoziologinnen, soziologen sowie –vermittlerinnen und -vermittler, die Projekte zu queeren Orten machen oder Architektinnen und Architekten die anonyme DDR Architekturen transformieren und bewahren. Sie alle machen Zeit- und Bedeutungsschichten sichtbar, welche die amtliche Praxis noch nicht auf dem Radar hat.
Wie kann ein Denkmal seine Geschichte weiterleben?
In den Critical Heritage Studies wird davon ausgegangen, dass eine Denkmalbedeutung immer verhandelbar sein muss, weil sie sich verändert. Ein Denkmalschutz, der die kulturelle Bedeutung festlegt und über Jahrzehnte lang aufrechterhält, muss hinterfragt und die kulturelle Bedeutung des Ortes neu verhandelt werden. Ansonsten würde übernommen werden, was andere als Denkmal bestimmt haben. Wenn so ein Haus wie das Gerhart Hauptmann Haus seit 70 Jahren Gedenkstätte ist, muss vielleicht auch darüber nachgedacht werden, wie die kulturelle Bedeutung des Ortes neu verhandelt werden kann, wie sie sich gegebenenfalls mit der Zeit gewandelt hat.
Zum einen sind heute andere Fragen interessant. Rollenbilder haben sich geändert. Die Geschichte muss vielseitiger dargestellt werden und kann nicht allein durch einen „patriachalen Dichterfürsten“ gelesen werden. Ich möchte etwas über die Köchin erfahren, die auch nachts auf Abruf parat stand, und darüber welche Rolle seine Frau einnahm, die wie man hört, Hauptmanns Gäste mit ihren Künsten auf der Stradivari unterhielt usw.
Zum anderen muss nach einer heutigen „Heritage Community“ (Erbengemeinschaft) gefragt werden. Wie gestaltet sich die Wechselwirkung zwischen dem Ort und den Menschen noch heute? Inwiefern haben die Arbeit um den Ort und das gesellige Beisammensein das Denkmal weitergeprägt?
Prof. Dr. Luise Rellensmann
ist Architekturwissenschaftlerin, -kritikerin mit dem Schwerpunkt Denkmalpflege.
An der Architekturfakultät der Hochschule München leitet sie den Fachbereich Bauen im Bestand, Denkmalpflege und Bauaufnahme.
Beitrag: Panatom