Das Literarische Bautagebuch

Hauptmann und die Baukultur

Zur Entstehung des Literarischen Bautagebuches. Ein Beitrag von Jule Froböse.

Wie so viele Künstlerinnen und Künstler verbrachte Gerhart Hauptmann seit den 1880er-Jahren regelmäßig ganze Sommer auf der Insel Hiddensee. Hiddensee liegt am östlichen Rand Deutschlands und öffnet den Blick für die Ferne in den Ostseeraum, sodass es nicht verwunderlich ist, dass die Insel – nicht nur zu Zeiten eines zweigeteilten Deutschlands – Sehnsüchte weckt. Die Hochzeit Hiddensees als Kolonie der Künstlerinnen und Künstler der Weimarer Republik ist dafür ebenso paradigmatisch wie die Aussteigerinnen und Aussteiger zu Zeiten der DDR.

Das Museum ist heute weit über Hiddensee hinaus bekannt. Weniger bekannt ist, dass es auch ein ausgezeichnetes Baudenkmal ist: „Es handelt sich um das einzige im originalen Zustand erhaltene Haus Hauptmanns. Außerdem sind die originale Ausstattung und Einrichtung des Hauses überliefert, sodass das Gebäude einen hohen authentischen Zeugniswert für die Arbeits- und Lebensverhältnisse dieses bedeutenden deutschen Literaten besitzt. Es ist deshalb aus (kultur)geschichtlichen Gründen denkmalwert und die Erhaltung und sinnvolle Nutzung liegen im öffentlichen Interesse.” (Landesdenkmalamt Mecklenburg-Vorpommern).

So war die bevorstehende umfassende Gebäudesanierung nach inzwischen 66 Jahren Museumszeit Anlass, sich das Denkmal baulich mitsamt dem Inventar und Interieur genauer anzusehen. Die Spuren führen nicht nur zu Gerhart und Margarete Hauptmann, sondern auch zu seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, den Mitgestalterinnen, -gestaltern des Museums, den Anwohnerinnen, Anwohnern, zu den Gästen wie den Gastautoren und -autorinnen, die im Sommer regelmäßig im Gerhart Hauptmann Haus Hiddensee ihre neuen Werke vorstellen.

Abb: Archiv Heimatmuseum Hiddensee

Vielmehr als für ein meistervoll architektonisch-durchgestaltetes Baudenkmal steht das Haus für einen baukulturellen, künstlerischen und geistigen Schatz der Insel und der gesamten Ostseeregion. Mit der Generalsanierung stellt sich das Museum nun der Herausforderung, Raum für die zeitgemäße Entwicklung des Kulturortes zu schaffen und das Erbe so zu integrieren, dass es weiterwachsen kann. „Bauen ist Kultur und schafft Raum für Kultur“, dieser, in der Erklärung von Davos verankerter Grundsatz, ist Ausdruck für das unmittelbare Zusammenwirken von Menschen und öffentlichen Raum. Es geht also um vielmehr als nur um ein „Gebäude“, es geht darum, die Strukturen zu schaffen, die die kulturelle Identität des Ortes schützen und ihm den notwendigen Raum für weitere zukünftige Interaktion und eine organische Weiterentwicklung zu geben.

Die baukulturellen Werte zu entdecken und auszuloten, war die große Motivation das Literarische Bautagebuch entstehen zu lassen. Das Haus wird für die Sanierung ab Herbst 2023 für ein Jahr geschlossen sein. So stand die Entscheidung, eine neue Website für das Projekt zu entwickeln und exemplarisch die Bedeutung der (Weiter-)Entwicklung eines für die Gesellschaft bedeutenden Kulturortes sichtbar werden zu lassen.

Die Website bietet allen einen digitalen Einblick in das Haus, das gewonnene Wissen und in den Sanierungsprozess. 

Um ein Verständnis von dem Ort und seinen Werten zu entwickeln, wurden die Menschen befragt, die dem Haus nahestehen oder nahestanden und die einen Bezug zu ihm haben. Mit ihnen betrachten wir die Architektur, die Räume, das Inventar und Interieur und natürlich seine Geschichte und Wirkung: Mit der Direktorin Franziska Ploetz, mit dem mit der Sanierung Beauftragten Architekten Andreas Woitassek, dem Restauratoren Wolf-Dieter Thormeier, der Leiterin vom Heimatmuseum Hiddensee Jana Leistner, mit den ehemaligen Bewohner und Mitarbeiter Günter Matheisen, der ehemaligen Direktorin Dr. Sonja Kühne, mit Zeitzeugen wie Prof. Dr. Holle Greil.

Im Sommer stellen regelmäßig Gastautorinnen und -autoren ihre neuen Werke in dem Haus vor. Nicht selten bleiben sie ein paar Tage. Wir fragen die junge Generation der Schriftstellerinnen und Schriftsteller nach ihrer Perspektive zum Gerhart Hauptmann Haus Hiddensee: Catalin Dorian Florescu, Jakob Hein, Sebastian Kleinschmidt, Daniela Krien, Svenja Leiber, Dagmar Leupold, Andreas Platthaus, Antje Rávik Strubel und Dr. Philipp Ther.

Das Kreuzgewölbe, der Weinkeller, die Wandfarben und das innenarchitektonisch vollends durchdachte Arbeitszimmer markieren offensichtlich Highlights. Was ist aber mit den kleinen Details, die oft als nebensächlich oder gar nicht wahrgenommen werden? Wer macht sich schon klar, was es 1930 bedeutete, Strom und Heizung zu haben? Wir haben die Audioagentur funkhaus ost auf Entdeckungstour geschickt. In den Podcasts „Unbemerkt im Hauptmann Haus“ kann man ihnen folgen.

Das Bewusstsein für die Relevanz von qualitativem Bauen als Ausdruck menschlicher Entwicklung zu stärken, hat sich die Bundesstiftung Baukultur zur Aufgabe gemacht. Reiner Nagel, ihr Vorstandsvorsitzender, erklärt die Komplexität von Baukultur. Der Landeskonservator von Berlin Dr. Christoph Rauhut spricht über die aktuellen Herausforderungen und Zukunft der Denkmalpflege.

Mit der Architekturwissenschaftlerin und -kritikerin Prof. Dr. Luise Rellensmann hinterfragen wir historisch gewachsene Kulturräume und den Umgang mit Erbe.

1956 gegründet, ist das Museum auch ein besonderer Ort der deutsch-deutschen Geschichte. Prof. Dr. Sigrid Brandt beleuchtet die Denkmalpflege der DDR und erläutert Ansätze zum Umgang mit Erbschichten.

Das Literarische Bautagebuch verwebt in unterschiedlichen Beiträgen zum Hören, Lesen und Sehen, die verschiedenen Dimensionen des heutigen Kulturraums und Museums sowie die Einnahme des Ortes durch Gerhart Hauptmann historisch und aktuell.

Natürlich werden Hauptmann-Kenner nicht nur den Dichter, sondern auch die Facetten als Liebhaber moderner Kunst oder den fortschrittlichen Kosmopoliten mit spirituellen Neigungen usw. erkennen. Die Beiträge können nach Interessen und baukulturell relevanten Themenfeldern gefiltert und rezipiert werden: #Zukunftsgedächtnis, #Denkmalstimmen, #ExponatStories, #HiddenseeStories und #LearningfromHauptmann.

 

Wir freuen uns auf Anregungen und noch nicht entdeckte Schätze dieses reichen Kulturortes.