Die Gerhart Hauptmann Haus Hiddensee Architekturen: „Haus Seedorn“ und der „Schelcher-Anbau“
Im Gespräch mit dem für die Sanierung beauftragten Architekten Andreas Woitassek von der gmw planungsgesellschaft mbH
Zwei Wochen lang haben Sie auf Hiddensee das Gerhart Hauptmann Haus in einer bautechnischen Analyse genau unter die Lupe genommen, dokumentiert und in einer Voruntersuchung die Sanierungsmaßnahmen eruiert. Mit was für einem Gebäude haben wir es hier zu tun?
Zunächst gibt es das alte Sommerhaus von 1920 – auch bekannt als Haus Seedorn – und den 1930 entstandenen Anbau, den Gerhart Hauptmann selbst mitentwickelt hat.
Der Altbau war ursprünglich relativ schlicht und musste dann nach Aufforderung der Gemeinde sich der typischen Seebäderarchitektur anpassen, sodass man die Dächer abwalmen, Veranden anbauen und die Holzvertäfelung ergänzen musste, um dem äußeren Erscheinungsbild der Nachbarschaft zu entsprechen. Was heute mitten in einem Wald steht, war früher eine baumlose Dünenlandschaft. Hauptmann erwarb das Haus von einem Berliner Glashüttendirektor 1929.
Um mehr Raum zu gewinnen, beauftragte er den jungen Dresdener Architekten Arnulf Walter Schelcher, der ein Bekannter seines Sohnes war, 1930 mit dem kontrastierenden Anbau, der ein wirklich gutes Beispiel für eine gut durchkonstruierte Architektur der modernen „Neuen Sachlichkeit“ darstellt.
Was sind die Besonderheiten dieser denkmalgeschützten Architekturen?
Das Gebäude ist das einzige im originalen Zustand erhaltene Haus Hauptmanns und hat damit einen speziellen Zeugniswert für das Leben des Schriftstellers und Dramatikers. Über all die Jahre wurde versucht, das Haus zu erhalten, was dazu führte, dass viele Bauteile im Originalzustand erhalten geblieben sind. Vergleichbare Bauten sind – meist zugunsten von Modernisierungen – viel stärker überformt. In dem Altbau des Hauptmann Hauses sind fast noch alle Originalfenster und die Veranden erhalten. Auch das Sichtmauerwerk ist fast überall gut erhalten. Das Haus sieht nahezu aus wie sandstrahlgereinigt, obwohl das nie passiert ist. Der Altbau ist von der Architektur eigentlich nichts Außergewöhnliches. Wie typisch für die Bauweise der 1920er Jahre vereinen sich hier eklektisch alle möglichen Stilmittel. Da geht es mehr um die Innenbereiche und direkten Bezüge zu Gerhart Hauptmann.
Der Neubau hingegen, der 1930 angelehnt an die Neue Sachlichkeit durch den Bauherrn Hauptmann und Arnulf Walter Schelcher entstand – steht mehr als alles andere für eine radikale architektonische Modernität der Zeit.
Man muss sich überlegen, dass es erst 1927 Strom auf Hiddensee gab und das Haus gleich mit modernster Technik ausgestattet wurde. Im ehemaligen Arbeitszimmer von Gerhart Hauptmann ist das besonders eindrücklich zu erleben. Bei der Innenarchitektur sieht man, dass alles von A bis Z durchdacht und weitgehend komplett intakt geblieben ist. Wo heute die Bäume die Sicht versperren, konnte Hauptmann damals direkt auf das Meer sehen. In die Holzvertäfelung der Decke wurde eine indirekte Wandbeleuchtung von Siemens installiert, die sich über unterschiedliche Schaltkreise steuern lässt. Was sich hinter der Milchglasverkleidung als eine „Armada von Scheibtischlampen“ darstellt, war absolut innovativ für die Zeit. Auch die alten Gussheizkörper sind heute Museumsgut. Die Firma Grönhagen, die die Anlage eingebaut hat, ist übrigens noch heute in Stralsund ansässig.
Speziell für Hauptmann ist der Weinkeller mit einer ausgeklügelten Eigenkonstruktion aus Drainagerohren mit Platz für 380 Weinflaschen, die jeden Sommer eingeschifft, hier kühl eingelagert, gewaschen und den abendlichen Gästen des Hauses serviert wurden.
Sehr individuell für Hauptmann steht auch der berühmte Kreuzgang, in dem man Schriftsteller und Dramatiker noch denkend auf und ab wandeln sieht. Dieser ist zwar mehr ein Kulissenbau aus Stuck als ein wirkliches Klostergemäuer, übt aber seine Wirkung aus.
Die Wohnräume der Hauptmanns im oberen Geschoss sind eher bescheiden und weniger repräsentativ ausgestattet, aber auch hier gibt es viele kleine wertvolle Details, wie zum Beispiel das kleine Fenster zwischen den Schlafräumen von Gerhart und Margarete Hauptmann, die Stromleitungen aber natürlich auch die originalen Einrichtungsgegenstände wie das Bett und die berühmten Wandnotizen in dem Schlafraum des Schriftstellers, der eigentlich immer und überall arbeitete.
Wo mangelt es und welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um das Haus wieder instand zu setzten?
Zunächst dachte ich, dass es um ein paar Schönheits-, Ausbesserungs- und Modernisierungsarbeiten sowie um eine funktionale Neustrukturierung des Hauses geht. Das Haus ist Museum, beherbergt aber auch die Gerhart Hauptmann Stiftung, die von hier aus alles verwalten und die Veranstaltungen planen muss. Wie zu erwarten sind die Heizungsanlage, Wasserleitungen und die Stromleitungen nach all den Jahren erneuerungsbedürftig.
Es stellte sich dann bei meinen Untersuchungen im Keller heraus, dass das Tragwerk der Kellerdecke nicht mehr intakt ist. Die Balkenlage der Kellerdecke ist äußerst schwach dimensioniert und in den Wandauflagern vermorscht. Außerdem ist der Altbau nur teilunterkellert, und der nicht unterkellerte Bereich nur unzureichend gegründet, wodurch es seit der Erbauung des Hauses immer wieder zu Setzungen und Verformungen gekommen ist. Insgesamt war der Altbau sehr wenig durchdacht und mit sehr sparsamen Materialien errichtet worden ist, was auch auf den Mangel an Materialien nach dem 1. Weltkrieg zurückzuführen ist. Hinzu kommt, dass die tragenden Wände des Hauses nicht übereinanderliegen. Das alte Haus wirkt insgesamt wenig durchdacht und weist die ein oder andere Spontanlösung auf wie die festinstallierten Bänke, die man vermutlich einbauen musste, um die Kopffreiheit im Treppenaufgang zu erhöhen. Die Decke in dem ehemaligen Frühstücksraum Hauptmanns zeigt bereits einen Durchhang von gut 8 Zentimetern. Auch über dem heutigen Eingangsbereich sieht man mehr als deutlich, wie stark sich das Haus bereits abgesenkt hat. Um dem entgegenzuwirken und das Haus langfristig erhalten zu können, wird die Decke des Kriechkellers erneuert und der Keller zum Nutzraum ausgebaut. So gewinnt die Stiftung gleichzeitig neuen Lagerraum.
Eine weitere Überraschung war, dass alle Dächer, die erst um 1997 neu gedeckt wurden, nicht mehr dicht sind. Ein Blick auf dem Dachboden zeigte, dass die komplette Unterspannfolie aus dem seinerzeit neuartigem Polyestervlies sich zersetzt hat, sodass wir nun die Dächer komplett neu eindecken müssen und gleichzeitig mit einer Schadstoffsanierung konfrontiert sind, weil das seinerzeit verwendete Dämmmaterial als Schadstoff zu entsorgen ist. Insgesamt ist das Dach des Neubaus für die Deckung mit Biberschwänzen eigentlich zu flach, sodass immer wieder die Gefahr besteht, dass Regen durchdringt. Deswegen ist ein dauerhaft intaktes Unterdach unerlässlich.
Zeigen sich im Hinblick auf die lange Geschichte und auch DDR-Baugeschichte des Hauses – das 1956 Gedenkstätte und spätestens 1962 Denkmal wurde – Nachbesserungsbedarfe?
Insgesamt muss man sagen, dass schon sehr darauf geachtet wurde, alles nach besten Möglichkeiten zu erhalten. Die nachträglich eingebauten Tragewerke wie die zwei Balken im ehemaligen Frühstücksraum sind provisorische Notmaßnahmen gewesen, um die Standsicherheit des Hauses zu erhalten. Die grundsätzlichen konstruktiven Probleme des Hauses hat man damals schon gesehen, aber nicht konsequent behoben.
Die Terrasse vor dem Neubau war ursprünglich mit Backsteinen im Fischgrätmuster gepflastert worden, die durch dünne Klinkerplatten ersetzt wurden. Dabei hat man sich aber nicht an das ursprüngliche Verlegemuster gehalten, sondern die Platten im Blockverband gesetzt. Ein kleines Detail mit großer Wirkung. Im Zuge der Baumaßnahmen soll die Terrasse wieder in ihr ursprüngliches Erscheinungsbild versetzt werden.
Die meisten Fenster wurden bereits einmal aufwendig renoviert und sind fast alle im Original erhalten. Die Schiebefenster der Veranda wurden dabei im Zuge der Instandsetzungsarbeiten 1986 nicht weiterverwendet und durch einfache Verbundfenster ersetzt. Dort sollen wieder Schiebefenster eingebaut werden, die dem historischen Gesamtbild des Hauses entsprechen.
In den Innenräumen des Museums werden die Wände wieder in den alten Farben gestrichen.
Wo liegen die bautechnischen Herausforderungen für die Sanierung mit der denkmalgeschützten Substanz?
Im Dachbereich muss alles von außen angegangen werden, um die Innenbereiche und Bereiche mit hohem Zeugniswert für Gerhart Hauptmann wie zum Beispiel die einzigartigen Wandnotizen von Gerhart Hauptmann in seinem ehemaligen Schlafraum im ersten Obergeschoss zu schützen.
Außerdem müssen alle Einrichtungsgegenstände unter besonderen Schutzvorkehrungen gesichert oder gegebenenfalls ausgelagert werden, was auf einer autofreien Insel eine besondere Herausforderung darstellt. Generell ist die gesamte Baustellenlogistik auf Hiddensee eine große Herausforderung, denn die Transportkapazitäten sind sehr begrenzt und dadurch auch sehr teuer.
Nach all den substanziellen Eingriffen müssen die Oberflächen wiederhergestellt werden. Für die denkmalgerechte Instandsetzung wird voraussichtlich dann noch der ein oder andere Spezialist auf die Insel geholt werden müssen.
Das biberschwanzgedeckte Dach auf dem Neubau war ursprünglich sogar einmal pagodenartig geformt und noch flacher geneigt. Hier muss man dann zugunsten der gesamten Funktionalität des Hauses Abstriche zum ursprünglichen Erscheinungsbild machen. Ich hatte ja schon erklärt, dass das flache Dach unter bestimmten Witterungseinflüssen schon die Gefahr mit sich bringt, regendurchlässig zu sein.
Die meisten Herausforderungen werden sich aber erst bei der konkreten Arbeit am Haus zeigen.
Die Gutachten konnten dank der Unterstützung der Herrmann Reemtsma Stiftung realisiert werden.
Andreas Woitassek
ist Architekt mit umfassenden Erfahrungen in der Denkmalpflege und Geschäftsführer der gmw planungsgesellschaft mbH in Stralsund. Für das Gerhart Hauptmann Haus hat er über zwei Wochen lang fast jeden Winkel des Hauses untersucht, in sämtlichen Akten die Baugeschichte studiert, um es für die Sanierung vorzubereiten.
Beitrag: Panatom